Oberlandesgericht Hamm: Augenarzt muss nach fehlerhafter Behandlung kein Blindengeld erstatten



Das OLG Hamm hat in einer am 09.09.2016 zu dem Az. 26 U 14/16 ergangenen Entscheidung festgestellt, dass der in § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X geregelte gesetzliche Forderungsübergang eine sachliche Kongruenz zwischen der Ersatzpflicht des Schädigers und der Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers voraussetze.

§ 116 Abs. 1 S. 1 SGB X lautet wie folgt:

Ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens geht auf den Versicherungsträger oder Träger der Sozialhilfe über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatzanspruch beziehen.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Wegen falscher Diagnose und demzufolge unzureichender Behandlung verlor ein Patient eines Augenarztes seine Sehfähigkeit. Der geschädigte Patient und die ärztliche Haftpflichtversicherung des Augenarztes einigten sich auf eine Abfindung der Schadensersatzansprüche gegen Zahlung eines Betrages in Höhe von 475.000,00 EUR.

Der zunächst vor dem Landgericht Bielefeld klagende Landschaftsverband zahlte an den Geschädigten Blindengeld in Höhe von etwa 30.000,00 EUR. Er verlangt Erstattung dieses Betrages und Feststellung, dass der Beklagte, der Augenarzt, dem Kläger auch weitere Blindengeldzahlungen zu ersetzen hat.

Der erkennende Senat hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung führt er aus, dass der notwendige gesetzliche Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X eine sachliche Kongruenz zwischen der Ersatzpflicht des Schädigers und der Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers voraussetze. Diese liege nur dann vor, wenn die Leistung des Sozialhilfeträgers und der vom Schädiger zu erbringende Schadensersatz dem Ausgleich derselben Einbuße des Geschädigten dienten.

Danach sei hier festzustellen, dass der von der Haftpflichtversicherung geleistete Schadensersatz auch dem Ausgleich von durch die Erblindung entstandenen Mehraufwendungen diene. Dagegen sei das auf der Grundlage des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose entrichtete Blindengeld unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen gezahlt worden; es werde auch unabhängig von der Erforderlichkeit auf Seiten des Geschädigten entrichtet. Damit solle es Nachteile der Behinderung mildern, also die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen, ein – soweit möglich – selbständiges und selbstbestimmtes Leben erleichtern und die Pflegebedürftigkeit vermeiden oder zumindest vermindern. Die Hilfe werde abstrakt – also nicht an den materiellen Bedürfnissen orientiert – berechnet und nehme für sich nicht in Anspruch, jeglichen Mehraufwand abzudecken. Darin unterscheide sich das gezahlte Blindengeld vom zivilrechtlichen Schadensersatz, der allein nach haftungsrechtlichen Gesichtspunkten auf den tatsächlichen – also durch die Erblindung entstandenen – Mehrbedarf abstelle.

Zudem werde der Geschädigte im Falle eines Anspruchsübergangs schlechter gestellt, weil er vom Schädiger nur die über das gezahlte Blindengeld hinausgehenden Mehraufwendungen ersetzt verlangen könne und Aufwendungen in dieser Höhe zunächst auch schlüssig darzulegen habe. Im Übrigen sei eine doppelte Entschädigung dadurch ausgeschlossen, dass das Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose gezahlte Entschädigungsleistungen wegen Mehraufwendungen auf das Blindengeld anrechne.

Der klagende Landschaftsverband hat sich mit diesem Urteil nicht abgefunden. Die Revision zum BGH wird dort unter dem Az. VI ZR 454/16 geführt.

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